Zum Seitenanfang

Keine Angst vor der Panik

Namensbeitrag von Prof. Dr. med. Peter Zwanzger anlässlich des Internationalen Panik-Tags Namensbeitrag von Prof. Dr. med. Peter Zwanzger anlässlich des Internationalen Panik-Tags am 18. Juni

Angst ist ein Grundgefühl des Menschen – wie Freude, Trauer oder Wut. Sie ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein hochwirksames Alarmsystem, das uns seit Urzeiten vor Gefahren schützt. Doch wenn dieses System fehlreguliert ist, kann Angst auch krank machen – vor allem dann, wenn sie plötzlich, ohne erkennbare Ursache und mit massiver körperlicher Intensität auftritt. Dann sprechen wir von Panik. Und wenn dies gehäuft geschieht und den Lebensalltag der Betroffenen spürbar einschränkt, dann sprechen wir von einer Panikstörung.

Angst – ein biologisches Warnsignal

Stellen Sie sich vor, Sie gehen im Wald spazieren und hören plötzlich ein lautes Rascheln. Innerhalb eines Augenblicks reagiert Ihr Körper: Das Herz schlägt schneller, die Atmung beschleunigt sich, Muskeln spannen sich an – Sie sind bereit, zu kämpfen, zu fliehen oder sich starr zu verhalten. Diese sogenannte „Fight-, Flight- oder Freeze“-Reaktion (Kampf, Flucht oder Erstarren) ist tief in unseren neurologischen Schaltkreisen verankert – insbesondere im limbischen System, wo die Amygdala als „Gefahrenmelder“ fungiert.

Diese Form von Angst ist lebenswichtig. Sie hilft, Risiken zu erkennen und entsprechend zu handeln – sei es im Straßenverkehr, bei schwierigen Entscheidungen oder in sozialen Situationen. Angst schützt. Doch sie kann auch entgleisen.

 

Panik – wenn die Angst plötzlich überkocht

Panik unterscheidet sich von „normaler“ Angst. Sie tritt unvermittelt auf, ohne dass ein erkennbarer Auslöser vorhanden ist. Die Betroffenen erleben Symptome, die sich bedrohlich anfühlen: Herzrasen, Beklemmungsgefühle, Atemnot, Zittern, Schwindel, Hitzewallungen, das Gefühl, ohnmächtig zu werden oder zu sterben.

Ein kleines Beispiel: Die 28-jährige Lisa sitzt in der U-Bahn, auf dem Weg zur Arbeit. Plötzlich fühlt sie sich, als würde ihr die Luft abgeschnürt. Ihr Herz rast, sie hat das Gefühl, gleich zusammenzubrechen. In Panik steigt sie an der nächsten Station aus und ruft den Notarzt. Körperlich ist alles in Ordnung – doch Lisa hat gerade ihre erste Panikattacke erlebt.

Solche Attacken dauern in der Regel nur wenige Minuten – wirken aber wie eine Ewigkeit. Und sie hinterlassen Spuren: Die Angst, dass es erneut passiert, wächst. Viele beginnen, bestimmte Situationen zu vermeiden: öffentliche Verkehrsmittel, große Plätze, enge Räume, Reisen – selbst der Gang zum Supermarkt kann zum Problem werden. Wenn sich Angst also vermeintlich grundlos zu Panikanfällen steigert, dies wiederholt geschieht, dadurch das Leben spürbar eingeschränkt wird und auch keine körperlichen Ursachen vorliegen, liegt sehr wahrscheinlich die Diagnose einer Panikstörung vor.

Häufige Ursachen für eine verbreitete Erkrankung

Panikstörungen zählen zu den häufigeren psychischen Erkrankungen. Schätzungsweise 2 bis 3 % der Bevölkerung sind betroffen. Frauen häufiger als Männer. Die Erkrankung beginnt meist im jungen Erwachsenenalter. Und sie bleibt oft lange unerkannt – nicht zuletzt, weil die Symptome stark körperlich sind und zunächst fälschlich für Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen gehalten werden. Oft begeben sich betroffene zunächst auf eine Odyssee zu unterschiedlichen Fachärzten wie Kardiologen, Endokrinologen oder Neurologen, ehe schließlich eine psychologische Ursache erkannt und behandelt wird.

Die Entstehung von Panikstörungen ist komplex. Biologische Faktoren – etwa eine erhöhte Sensibilität gegenüber körpereigenen Signalen oder eine niedrigere Reizschwelle der Chemorezeptoren im Gehirn für Kohlenstoffdioxid in der Atemluft – spielen ebenso eine Rolle wie Lernerfahrungen oder dauerhafter Stress. Viele Betroffene beschreiben eine „Katastrophenbrille“: Ein harmloser Körperreiz wie ein schneller Herzschlag wird als Vorbote eines Infarkts gedeutet. Diese Fehlinterpretation verstärkt die Angst – ein Teufelskreis, der immer enger wird.

Panikstörungen sind sehr gut behandelbar

An erster Stelle steht die kognitive Verhaltenstherapie, die auf die Erkennung und Veränderung angstfördernder Denkmuster abzielt. Ein zentraler Bestandteil ist die sogenannte Exposition: das bewusste Erleben von Situationen, die bisher vermieden wurden – in sicherem therapeutischen Rahmen. So lernt das Gehirn: Die Situation ist nicht gefährlich, die körperlichen Symptome sind unangenehm, aber bedrohlich. In schwereren Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung mit modernen Antidepressiva (z. B. SSRI) hilfreich sein – nicht, weil die Patientinnen und Patienten „depressiv“ sind, sondern weil diese Medikamente gezielt in das überaktive Angstnetzwerk eingreifen. Ergänzend helfen Atemtechniken, progressive Muskelentspannung, Achtsamkeit oder auch Biofeedback, um den eigenen Körper wieder als verlässlich zu erleben. Wichtig ist: Hilfe ist möglich – und der Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben offen.

Angst verstehen – und entzaubern

Im Buch „Das Alphabet der Angst“, das ich mit Prof. Dr. Dr. med. Katharina Domschke kürzlich veröffentlich habe, haben wir es so formuliert: Solange Angst namenlos bleibt, wirkt sie mächtig. Sobald wir aber verstehen, was mit uns geschieht, verliert sie ihren Schrecken. Angst lässt sich behandeln. Panik lässt sich bewältigen. Es gibt Wege aus der Spirale – evidenzbasiert, individuell und erfolgreich. Wer sich der Angst stellt, ist nicht schwach – sondern mutig. Und wer Hilfe annimmt, übernimmt Verantwortung für sich und sein Leben.