Jeder 40. Mensch in Deutschland erleidet einmal in seinem Leben einen Schlaganfall. Wie man durch einfache Maßnahmen im Alltag das Risiko senken kann, welche Warnzeichen jeder kennen sollte und warum besonders Frauen in der Pflicht stehen, verrät Dr. Tobias Winkler, Chefarzt im Fachbereich Neurologie am kbo-Inn-Salzach-Klinikum, im Interview.
Herr Dr. Winkler, wie kann ich einem Schlaganfall grundsätzlich vorbeugen?
Ich empfehle grundsätzlich eine gesunde Lebensweise: regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, der Verzicht auf Nikotin und ein moderater Umgang mit Alkohol. Vorbeugen heißt im Alltag also vor allem Verantwortung für den eigenen Körper übernehmen. Meinen Patientinnen rate ich zum Beispiel ganz konkret dazu, regelmäßig spazieren zu gehen, das Fahrrad anstelle des Autos zu nehmen und frisch zu kochen. Zu viel Salz, Zucker und tierische Fette sind ernstzunehmende Risikofaktoren und vor allem in hochverarbeiteten Lebensmitteln problematisch. Wer raucht, sollte aufhören – das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sinkt damit dramatisch. Auch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen beim Hausarzt sind wichtig, um etwa Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte oder Diabetes frühzeitig zu erkennen. Die gute Nachricht: Vieles liegt in unserer eigenen Hand.
Was sind Risikofaktoren, die einen Schlaganfall begünstigen?
Die wichtigsten Risikofaktoren sind gut erforscht: an erster Stelle steht der Bluthochdruck – und der ist oft über Jahre unbemerkt. Ebenso gefährlich sind Herzrhythmusstörungen, insbesondere Vorhofflimmern, das zu Blutgerinnseln im Gehirn führen kann. Daneben spielen Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen eine große Rolle. Auch chronischer Stress, Schlafmangel und übermäßiger Alkoholkonsum belasten den Körper. Es lohnt sich also doppelt, einen gesunden Lebensstil zu pflegen – für Körper und Geist.
Wer sind die Risikogruppen?
Das klassische Bild ist der ältere Patient mit mehreren Vorerkrankungen. Aber wir sehen zunehmend auch jüngere Menschen, etwa zwischen 30 und 60, die durch ungesunde Lebensweisen, wenig Bewegung oder unbehandelten Bluthochdruck gefährdet sind. Besonders gefährdet sind Menschen mit familiärer Vorbelastung oder solche, die bereits einen Herzinfarkt oder eine TIA – also eine „transitorische ischämische Attacke“ – hatten. Und eben auch Personen mit starkem Nikotinkonsum oder hohem Cholesterinspiegel sollten wachsam sein.
Wie erkenne ich einen Schlaganfall?
Die Symptome sind deutlich, wenn man sie kennt: Typische Symptome sind halbseitige Lähmungen oder Gefühlsstörungen, Sprach- oder Sprachverständnisprobleme, Sehstörungen oder ein schiefer Mundwinkel. Auch starker Schwindel oder eine plötzliche Gangunsicherheit können Warnzeichen sein. Die Faustregel lautet: FAST
- Face – wirkt eine Gesichtshälfte beeinträchtigt? Kann der Betroffene beispielsweise nicht mehr normal lächeln?
- Arms – kann eine Person beide Arme gleichermaßen heben oder ist ein Arm beeinträchtigt?
- Speech – ist die Sprache verändert, unverständlich oder verwaschen?
- Time – trifft etwas davon zu, dann umgehend die 112 rufen! Schnelles Handeln kann Leben retten und bleibende Schäden verhindern.
Wie sollte man reagieren, sowohl als Betroffener als auch als Ersthelfer?
Der wichtigste Schritt: sofort den Notruf 112 wählen! Je schneller ein Schlaganfall behandelt wird, desto größer die Chance, Schäden zu vermeiden. Als Ersthelfer sollte man die betroffene Person beruhigen, sie nicht allein lassen und möglichst flach lagern. Keine Getränke oder Medikamente geben – bei Schluckstörungen besteht Erstickungsgefahr. Wer selbst betroffen ist, sollte, wenn möglich, Angehörige informieren und Ruhe bewahren. Selbst wenn die Symptome nach Minuten wieder verschwinden: Auch eine „Mini-Schlaganfall“ kann der Vorbote eines schwereren Ereignisses sein.
Welche Unterschiede gibt es bei Männern und Frauen?
Frauen sind beim ersten Schlaganfall meist älter als Männer, was auch mit der schützenden Wirkung der weiblichen Hormone in den Wechseljahren zusammenhängt. Gleichzeitig erleben Frauen häufiger schwerere Verläufe und zeigen manchmal untypische Symptome wie Übelkeit, Verwirrtheit oder plötzliche Erschöpfung – das erschwert die schnelle Diagnose. Ganz wichtig ist aber auch anzuerkennen, dass Frauen häufiger die Pflege anderer übernehmen und dabei oft ihre eigene Gesundheit vernachlässigen. Ich plädiere deshalb sehr dafür, dass Frauen achtsamer mit sich selbst umgehen.
Haben Sie Zahlen für uns? Wie viele Patienten mit Schlaganfall behandelt das kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg jährlich?
Wir versorgen in unserer neurologischen Abteilung am kbo-Inn-Salzach-Klinikum jedes Jahr rund 450 Schlaganfallpatienten. Die meisten kommen über unsere zertifizierte Stroke Unit, wo rund um die Uhr Spezialisten im Einsatz sind – dank enger Kooperation mit der RoMed Klinik mit direktem Zugang zu bildgebender Diagnostik, Labor und Intensivmedizin. Wir begleiten viele dieser Menschen aber nicht nur in der Akutversorgung, sondern auch in der Frührehabilitation und bei der Wiedereingliederung in ihren Alltag.
Werden es tendenziell mehr oder weniger?
Die Zahl der Schlaganfallbehandlungen steigt leicht – das liegt vor allem daran, dass wir alle älter werden und chronische Erkrankungen zunehmen. Gleichzeitig erkennen wir heute viele Schlaganfälle früher als noch vor zehn Jahren. Durch bessere Diagnostik und mehr Gesundheitsbewusstsein landen mehr Betroffene rechtzeitig in spezialisierten Kliniken. Das ist ein gutes Zeichen, denn es bedeutet: Die Aufklärung wirkt. Trotzdem bleibt viel zu tun – insbesondere in der Prävention, die oft schon im Kindes- und Jugendalter beginnt.
Wie sieht die medizinische Behandlung eines Schlaganfalls konkret aus – von den ersten Notfallmaßnahmen bis hin zur Rehabilitation?
Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute. Das nennen wir „Time is brain“, denn pro Minute ohne Behandlung sterben rund zwei Millionen Nervenzellen ab. Die Behandlung beginnt also schon beim Erkennen der Symptome und dem schnellen Notruf. Das ist die wichtigste Erstmaßnahme.
In der Klinik folgt dann die Akutversorgung: Zuerst klären wir per CT oder MRT, ob es sich um einen ischämischen Schlaganfall (also ein Gefäßverschluss) oder eine Hirnblutung handelt. Bei einem Verschluss versuchen wir, das Gefäß so schnell wie möglich wieder zu öffnen – entweder medikamentös mit einer sogenannten Lyse-Therapie oder, wenn möglich, mechanisch über eine Thrombektomie. Bei Hirnblutungen stehen dagegen Stabilisierung, Blutdruckkontrolle und gegebenenfalls neurochirurgische Maßnahmen im Vordergrund.
Nach der Akutphase beginnt die nächste wichtige Phase: die Rehabilitation. Je früher sie startet, desto besser sind die Chancen, verloren gegangene Funktionen – etwa beim Sprechen, Bewegen oder Denken – wiederzuerlangen. In unserem Haus arbeiten Neurologen, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden und Psychologen eng zusammen, um für jeden Patienten ein individuelles Frühreha-Programm zu erstellen. Dabei geht es nicht nur um körperliche Genesung, sondern auch um die Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.