„Angst gehört zum Menschsein dazu“
Interview mit Prof. Dr. med Peter Zwanzger, Ärztlicher Direktor am kbo-Inn-Salzach-Klinikum
Faszinierend und Respekt einflößend zugleich – die Angst. Jeder kennt sie. Sie ist lebenswichtig, weil sie uns vor Gefahr schützt. Allerdings fühlt sie sich alles andere als gut an, weshalb sie meist verdrängt und selten angesprochen wird. Besonders laut wird das Schweigen dann, wenn Angst zur Erkrankung wird – und das, obwohl es sich mit Abstand um die häufigste psychische Störung handelt. Prof. Katharina Domschke und Prof. Peter Zwanzger, international anerkannte klinische wie wissenschaftliche Experten auf dem Gebiet der Angsterkrankungen, klären in ihrem Buch „Das Alphabet der Angst“ informativ und unterhaltsam über die zahlreichen und vielfältigen Ausprägungen des zutiefst menschlichen Gefühls auf. Das Buch erscheint am 10. Februar.
Herr Prof. Zwanzger, warum haben Sie gemeinsam mit Frau Prof. Domschke dieses Buch geschrieben?
Lassen Sie mich so anfangen: Die gute Nachricht ist ja, dass sich die Menschen heute viel mehr als früher mit ihrer Gesundheit und dem Gesundbleiben beschäftigen. Dabei fällt auf, dass es sowohl darum geht, gesund zu werden als auch vorzubeugen. Ratgeber wie „Der gesunde Rücken“, „Die gesunde Ernährung“, „Herzgesund bleiben“, „Fröhlich durch die Wechseljahre“, „Darm mit Charme“ versuchen ja das Gesunde zu betonen. Das ist bei der Psyche bisher anders. Da heißen die Ratgeber „Keine Angst mehr“, „Panikattacken los werden“, „Ängste überwinden“. Es geht also darum, jedes psychische Symptom wegzudenken oder wenn Sie so wollen, wegzunehmen. Dabei ist es mit dem Kopf nicht anders als mit dem Körper: Nicht jedes Symptom ist krankhaft und es gibt auch einen fließenden Übergang von noch gesund zu vielleicht schon krank. So ist auch nicht jedes Bauchgrimmen, jeder Kopfschmerz und jedes Herzklopfen gleich ein Magengeschwür, eine Migräne oder ein Herzinfarkt. Unser Buch will zeigen, dass die Angst zum Menschen dazugehört. Dass nicht jede Angst krankhaft ist und dass Angst grundsätzlich vollständig los zu werden vielleicht auch nicht die beste Idee ist. Wir versuchen die Übergänge vom Gesunden zum Krankhaften verständlich darzustellen und greifbar zu machen. Ebenso lassen wir keine Zweifel daran, dass die Angst zum Menschsein dazugehört.
Ihr Buch ist nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern auch unterhaltsam. War es Ihnen wichtig, das Thema leicht zugänglich zu machen?
Auf jeden Fall. Wir haben versucht, durch die, wenn Sie so wollen, nicht primär medizinischen Themen den Blick zu weiten auf das große Ganze. Die Rolle von Angst in der Gesellschaft generell und die vielen Bezüge, die Schriftsteller, Künstler oder Musiker zu dieser Emotion herzustellen versuchen. Da gehört natürlich die Terrorangst genauso wie die Xenophobie dazu. Da geht es um die bekannte Schwellenangst, genauso wie um den Säbelzahntiger. Uns interessiert, welche Rolle Musik für Angst spielt und was eigentlich der Paniktag ist.
Welche Rolle spielt Angst in der modernen Gesellschaft, insbesondere durch Medien und Politik?
Wie überall sonst spielt Angst auch da eine große Rolle. Wir haben versucht, dem Rechnung zu tragen, in dem wir das Thema Medien aufgenommen und dargestellt haben, dass hier sowohl positive als auch negative Effekte möglich sind. Auch spielt der Begriff Macht im Zusammenhang mit Angst eine große Rolle in der Politik und das schon seit Jahrhunderten. So haben nicht selten in der Vergangenheit autokratische Herrscher Angst als Machtinstrument missbraucht.
Stimmt es, dass die Deutschen ängstlicher sind als andere Gesellschaften?
Sie spielen auf den Begriff „German Angst“ an. Oft zitiert und wissenschaftlich kaum belegt. Angst wäre ein urdeutsches Phänomen. Oft wird die sogenannte „German Angst“ mit einer in Deutschland angeblich besonders intensiven emotionalen Reaktion auf vermeintlich bedrohliche Situationen in Verbindung gebracht wie mit der Flüchtlingskrise, dem Klimawandel oder Corona. Auch wird den Deutschen eine hohe Neigung zum „Bedenkenträgertum“ zugeschrieben. Allerdings bestätigt sich diese These aus wissenschaftlicher Sicht nicht. Eine Auswertung von über 50 europäischen Stichproben ergab keinen Unterschied zwischen deutschsprachigen Ländern und beispielsweise England. Wir schlagen vor, dass es an der Zeit ist für „German Mut“ statt „German Angst“ – wie in einer Publikation der gemeinnützigen Stiftung für Zukunftsfragen und des Ludwig-Erhard-Gipfels im Jahr 2023 gefordert. Darin enthalten: Mehr Förderung von Solidarität, Ermutigung zu offenem Dialog, mehr Kompetenz in Medienumgang und „Good News“!
Wenn die Leser eine einzige Botschaft aus Ihrem Buch mitnehmen sollen – welche wäre das?
Ganz klar: Angst ist nicht immer ein schönes Gefühl, dennoch außerordentlich wichtig, um im Leben zurechtzukommen. Angst ist also nicht grundsätzlich schlecht! Und: krankhafte Ängste können sehr gut behandelt werden. Hierzu gibt es mittlerweile zahlreiche Angebote für wirksame Therapieformen. Man muss sie nur annehmen.