Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus am kbo-ISK
Auftakt einer Veranstaltungsreihe zur Auseinandersetzung mit der Gaberseer Geschichte
Am 27. Januar jährte sich zum 80. Mal der Tag der Befreiung des Vernichtungslager Auschwitz durch sowjetische Soldaten. Das Bild, das sich den Befreiern bot, übertraf hinsichtlich Grausamkeit und Kaltblütigkeit die menschliche Vorstellungskraft. Mehr als eine Million Menschen waren allein hier zwischen März 1942 und November 1944 in einem beispiellosen Akt der systematischen Vernichtung ermordet worden. „Ausschwitz“ steht heute synonym für eine Zeit, in der die Entwürdigung menschlichen Lebens in grausamenVerbrechen mündete.Doch nicht nur in Ausschwitz wurde gemordet. Überall im Reichsgebiet fielen Menschen dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer. So auch in der der damaligen „Heil- und Pflegeanstalt Gabersee“, aus deren erschütternder Geschichte eine zwingende Verantwortung zum Gedenken und mahnender Erinnerung erwächst.
Anlässlich dieses Jahrestages fand am 28. Januar auf Gelände des kbo-Inn-Salzach-Klinikums (kbo-ISK) eine bewegende Gedenkstunde statt. Über 100 Menschen fanden sich am NS-Mahnmal ein – darunter die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Dr. Charlotte Knobloch und der oberbayerische Bezirkstagspräsident Thomas Schwarzenberger – um an die Opfer der nationalsozialistischen Gräueltaten zu erinnern. Das gemeinsame Gedenken war zugleich der Auftakt einer Veranstaltungsreihe, mit der das kbo-ISK im Jahresverlauf eine bewusste Erinnerungskultur fördern möchte.
Erinnerung und Gedenken als zentrale Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger
Dr. Charlotte Knobloch erinnerte in ihrer Rede eindringlich an die Verbrechen der Nationalsozialisten, die an Menschen begangen wurden, „weil sie waren, wie sie eben waren.“ Dabei betonte Sie die Bedeutung der Erinnerung: „Das, verehrte Anwesende, dürfen wir niemals vergessen. Der Opfer und unserer selbst willen, müssen wir die Erinnerung wachhalten, an das, was hier geschehen ist.“
Knobloch hob hervor, dass die deutsche Gesellschaft sich aus den „Trümmern und dem moralischen Abgrund“ der NS-Zeit herausgearbeitet und sich zu einem freien, demokratischen Staat entwickelt habe. „Darauf dürfen wir stolz sein, aber daraus entwächst auch eine Verantwortung.“ Als Beispiel beschrieb sie ihren Vater, der trotz Verfolgung an das Potenzial seines Heimatlandes glaubte – zu einer Zeit, in der die allermeisten Jüdinnen und Juden das Land schnellstmöglich verlassen wollten. „Ganz anders mein gottseliger Vater. Er war ein Patriot. Er glaubte daran, dass dieses Land eine Zukunft als demokratischer Staat haben würde.“
Abschließend wandte sie sich direkt an die Anwesenden: „Sie sind überzeugte Demokraten. Lassen Sie sich zur Tatsache, dass Sie es sind, gratulieren!“ Dabei mahnte sie jedoch auch, dass die Erinnerung und das Gedenken eine zentrale Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger sei – auch im Hinblick auf politische Prozesse. „Das schulden wir denen, derer wir heute vor diesem Mahnmal gedenken.“
Bezirkstagspräsident Thomas Schwarzenberger hob in seiner Ansprache ebenfalls die Bedeutung des Erinnerns hervor. Gerade vor dem Hintergrund dessen, was in den Vorgängerinstitutionen der Kliniken des Bezirks Oberbayern geschehen sei. Nur wer aus der Geschichte heraus wisse, in welchen Katastrophen Ausgrenzung, Herabsetzung, unmenschliches Denken und Handeln mündeten, könne daraus Lehren für die Gegenwart ziehen. „Wohin das Vergessen führt, sieht man heute leider überall. Hier bei uns in Deutschland genauso wie im Rest der Welt. Das Ergebnis sind Nationalismus, Rassismus und Hass – und am Ende Gewalt und Krieg.“ Erinnerungskultur sei deswegen kein Selbstzweck, so Schwarzenberger, sondern eine beständige Mahnung, „die Werte, die wir uns als Lehren aus der Geschichte erarbeitet haben, nicht zu vergessen und sie nach Kräften zu schützen“.
Wasserburgs 1. Bürgermeister Michael Kölbl betonte in seiner Ansprache die Bedeutung von Artikel 1 des Grundgesetztes hinsichtlich der Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsstaats. Er wies darauf hin, wie wichtig es sei, dass dieser „unveränderbar und unverrückbar ist.“
„Die Chronik macht die Grausamkeiten greifbar.“
Prof. Dr. med. Peter Zwanzger, Ärztlicher Direktor der Klinik, hob die historische Bedeutung der Heil- und Pflegeanstalt Gabersee und der dokumentierten Verbrechen hervor: „Die unermessliche Unmenschlichkeit und unerbittliche Grausamkeit, die beim Lesen der Passagen aus der Gaberseer Chronik spürbar wird, entsetzt noch heute. Diese Chronik dokumentiert, wie zwischen 1940 und 1941 etwa 500 Patientinnen und Patienten dieser Klinik von hier aus in die Tötungsanstalt Hartheim deportiert und ermordet wurden. Sie erinnert an das unvorstellbare Leid und die Verbrechen, die an diesem Ort begannen. Das alles beschämt mich als Arzt und Psychiater, es beschämt mich als ärztlichen Leiter einer großen Klinik. Es beschämt mich als Menschen.“
Dr. Karsten Jens Adamski, Geschäftsführer des kbo-Inn-Salzach-Klinikums, erinnerte eindringlich an die Verantwortung der Klinik und der gesamten Gesellschaft: „Unser Gedenken am heutigen Tage gilt den Menschen, die in Ausschwitz, Treblinka, Sobibor, Bergen-Belsen, Buchenwald und den vielen anderen Tatorten der NS-Verbrechen umgebracht wurden. Zu diesen Orten zählen auch psychiatrische Heilanstalten – Einrichtungen, die eigentlich Hilfe und Schutz hätten bieten sollen. Es muss uns allen und auch insbesondere den jungen Menschen gesagt werden, was damals geschehen ist. Es darf nicht vergessen werden. Das schulden wir den Opfern. Und wir sind aufgerufen, heute und auch in Zukunft aus der Geschichte zu lernen.“
Begleitet wurden die Redebeiträge von einer gemeinsamen Kranzniederlegung des Bezirkstagspräsidenten, des Geschäftsführers, des Ärztlicher Direktors sowie der Pflegedirektorin Kerstin Weinisch, die auch das Gedicht „Augen-Blicke über den Tod hinaus“ von Nelly Sachs vorlas – gefolgt von einer Schweigeminute zu Ehren der Opfer.
Gelebte Erinnerungskultur
Mit der feierlichen Gedenkstunde eröffnete das kbo-Inn-Salzach-Klinikum eine Veranstaltungsreihe, die Raum für Reflexion, Dialog und Lernen bieten und eine bewusste Auseinandersetzung mit diesem dunklen Teil der Vergangenheit fördern soll. „Als psychiatrisches Fachkrankenhaus mit über 140-jähriger Geschichte spielt die Aufarbeitung der Übel während der NS-Zeit eine wichtige Rolle für uns. Mit unseren Veranstaltungen möchten wir an die Opfer erinnern und Perspektiven für den Umgang mit der Vergangenheit schaffen.“, so Dr. Adamski
- 06. März 2025, 16:00 Uhr: Vortrag „Die Heil- und Pflegeanstalt Gabersee in Zeiten des Nationalsozialismus“ von Wolfgang Schmid, Leiter des Psychiatriemuseums Gabersee
- 21. Mai 2025, 17:00 Uhr: Vortrag und Podiumsdiskussion „Psychiatrie im Nationalsozialismus“ mit Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider
- 02. Juni 2025, 16:00 Uhr: Vortrag „Die Rolle der Heil- und Pflegeanstalt Gabersee in der NS-Zeit“ mit Nikolaus Braun, Archivar des Bezirks Oberbayern