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Depression: Eine unterschätzte Volkskrankheit

Namensbeitrag von Prof. Dr. med. Peter Zwanzger, Ärztlicher Direktor im kbo-Inn-Salzach-Klinikum

Depressionen gehören zu den häufigsten und gleichzeitig am meisten unterschätzten Erkrankungen unserer Zeit. Allein in Deutschland erkranken nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts jährlich über fünf Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Depression. Das entspricht knapp sieben Prozent der Bevölkerung! Trotz der weiten Verbreitung der Erkrankung halten sich viele Missverständnisse und Vorurteile, die dazu führen, dass Betroffene oft viel zu spät professionelle Hilfe suchen. Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die Öffentlichkeit besser über die Symptome, Ursachen und Behandlungsoptionen von Depressionen aufzuklären.

Was ist eine Depression?

Eine Depression ist weit mehr als nur anhaltende Traurigkeit oder ein Stimmungstief. Sie ist eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln massiv beeinflussen kann und teils tiefgreifende Auswirkungen auf das tägliche Leben mit sich bringt. Typische Symptome sind neben einer gedrückten Stimmung auch der Verlust von Interesse an Aktivitäten, die früher Freude bereitet haben, Schlafstörungen, Appetitverlust oder aber auch Appetitsteigerung, Konzentrationsprobleme und ständige Erschöpfung. Häufig kommen Gefühle von Wertlosigkeit oder Schuld hinzu. Die Betroffenen glauben, sie würden anderen zur Last fallen. In schweren Fällen können sogar Suizidgedanken auftreten.

Depressionen verlaufen in Episoden, die einige Wochen oder sogar mehrere Monate andauern können. Ohne adäquate Behandlung besteht die Gefahr, dass die Krankheit chronisch wird. Hinzu kommt, dass Betroffene sich häufig aus ihrem sozialen Umfeld zurückziehen, was Einsamkeit und Verzweiflung noch verstärken kann.

Ursachen: Komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren

Eine Depression entsteht in der Regel durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren. Eine genetische Veranlagung kann das Risiko ebenso erhöhen wie belastende Lebensumstände, beispielsweise der Verlust eines nahestehenden Menschen, chronische Überlastung oder zwischenmenschliche Konflikte. Auch neurobiologische Veränderungen im Gehirn, insbesondere der Botenstoffsysteme Serotonin und Noradrenalin, spielen eine wesentliche Rolle.

Es ist wichtig, Depressionen als das zu erkennen, was sie sind: eine Krankheit, die behandelbar ist und keinesfalls Ausdruck persönlicher Schwäche. Auch Menschen, die auf den ersten Blick „alles haben“ und augenscheinlich „glücklich sein sollten“, können an einer Depression erkranken.

Hilfe suchen – aber wann?

Die gute Nachricht: Depressionen sind behandelbar. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser sind die Erfolgsaussichten. Oftmals warten Betroffene jedoch zu lange, bevor sie sich Hilfe suchen. Dabei gilt: Wenn die depressive Verstimmung länger als zwei Wochen anhält, man sich ständig erschöpft fühlt oder Alltagsaufgaben nicht mehr bewältigen kann, sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Wichtig zu wissen ist, dass eine Depression nicht allein durch „Durchhalten“ oder „positive Gedanken“ überwunden werden kann. Je nach Schweregrad der Erkrankung stehen verschiedene Therapieformen zur Verfügung, darunter Psychotherapie, medikamentöse Behandlungen oder eine Kombination beider Ansätze.

Stigmatisierung abbauen

Einer der größten Hürden auf dem Weg zur Behandlung ist das nach wie vor bestehende Stigma, das psychischen Erkrankungen anhaftet. Viele Betroffene zögern, Hilfe zu suchen, weil sie Angst vor Ablehnung oder Vorurteilen haben. Diese Angst führt oft zu einer unnötigen Verzögerung der Behandlung und einer Verschlechterung der Symptome.

Es ist von entscheidender Bedeutung, über psychische Erkrankungen offen zu sprechen und die Betroffenen zu ermutigen, sich Hilfe zu holen, ohne Angst vor sozialer Stigmatisierung zu haben. Familienmitglieder und Freunde spielen hier eine wichtige Rolle, indem sie frühzeitig Unterstützung anbieten und den Betroffenen helfen, die ersten Schritte in Richtung Behandlung zu gehen.

Für die Erstberatung stehen Hausärzte, Psychotherapeuten oder Psychiater zur Verfügung. Diese können den Schweregrad der Erkrankung einschätzen und eine geeignete Behandlung einleiten. Auch Organisationen wie die Deutsche DepressionsLiga, das Deutsche Bündnis gegen Depression, die Diakonie und die Caritas oder die Telefonseelsorge können sinnvolle Anlaufstellen sein. Viele psychiatrische Kliniken – wie auch unser Standort in Freilassing – bieten zudem Psychiatrische Institutsambulanzen. Diese ambulanten Angebote bieten kurzfristige Hilfe für Menschen mit schweren Depressionen, die nicht in eine reguläre Psychotherapie aufgenommen werden können.

Über Prof. Dr. med. Peter Zwanzger

Prof. Dr. med. Peter Zwanzger ist Ärztlicher Direktor des kbo-Inn-Salzach-Klinikums und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist Experte für die Diagnostik und Therapie von Depressionen und Angststörungen sowie für innovative Behandlungen therapieresistenter Depressionen. Er hat über 200 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht und ist Mitglied zahlreicher Fachgremien und Forschungsgruppen – u.a. als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Angstforschung (GAF) und Leiter des Forschungsbereichs Angst an der LMU München.