96. Jahrestagung der Bayerischen Nervenärzte zu Gast im kbo-Inn-Salzach-Klinikum
Vom 27. bis 28. September 2024 fand im kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg am Inn die 96. Jahrestagung der Bayerischen Nervenärzte statt. Die renommierte Veranstaltung brachte führende Expertinnen und Experten aus Psychiatrie, Neuropsychiatrie und Neurologie zusammen, um über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, klinische Entwicklungen und innovative Therapiekonzepte zu diskutieren.
„Die Jahrestagung der Bayerischen Nervenärzte ist ein fester Bestandteil unseres fachlichen Austauschs und ein wertvolles Forum für aktuelle Themen aus den Fachbereichen. Wir sind stolz, diese Tradition in diesem Jahr in Wasserburg durchführen zu dürfen,“ so Gastgeber Prof. Dr. Peter Zwanzger, Ärztlicher Direktor des kbo-Inn-Salzach-Klinikums (kbo-ISK), der die Veranstaltung auch im Namen des Vorsitzenden des Verbandes der bayerischen Nervenärzte, Herrn Dr. Carl eröffnete. Er hob dabei hervor, dass die enge Zusammenarbeit von Neurologen und Psychiatern in der Region Südostbayern eine lange Tradition hat. Dr. Tobias Winkler, Chefarzt Neurologie am kbo-ISK, betonte in seiner Begrüßung den Vorteil für Patientinnen und Patienten durch das effiziente Zusammenspiel von Psychiatrie und Neurologie in Wasserburg.
Neueste Erkenntnisse aus der Schlafmedizin
Im Rahmen der Tagung stellte Prof. Dr. Jan Rémi, stellvertretender Direktor der neurologischen Klinik und Poliklinik am LMU Klinikum, die neuesten Erkenntnisse aus der Schlafmedizin vor. Dabei ging er auf Erkrankungen wie Narkolepsie und Insomnie ein und erläuterte die biochemischen Prozesse des Schlafes. Fortschritte in der pharmakologischen Behandlung bewertete er als positiv, betonte jedoch, dass eine multifaktorielle Herangehensweise notwendig sei, die neben Medikamenten auch Maßnahmen wie Schlafhygiene und kognitive Verhaltenstherapie umfasse.
Migräne: Herausforderungen und neue Therapieansätze
Eine große Herausforderung im Praxisalltag stellt weiterhin die Migräne dar. Prof. Dr. Tobias Freilinger, Chefarzt der Neurologie am Klinikum Passau, berichtete von bedeutenden Fortschritten in der Therapie. Er stellte fest, dass die Diagnosestellung nach wie vor oft schwierig sei, obwohl rund 15 % der Bevölkerung betroffen seien. Genetische Faktoren spielten eine große Rolle bei der Migräne. Neben der Behandlung mit Triptanen und Geplanten legte er besonderen Wert auf eine personalisierte Migräneprophylaxe, die beispielsweise durch den Einsatz von Kopfschmerzkalendern individuell angepasst werden könne.
Updates zu neurovaskulären Erkrankungen und Multipler Sklerose
PD Dr. Joji Kuramatsu, Chefarzt der Neurologie im RoMed Klinikum Rosenheim, gab ein Update zu neurovaskulären Erkrankungen. Er unterstrich die Bedeutung einer schnellen Behandlung mit dem Hinweis, dass jede Verzögerung die Chancen auf die Reduzierung von Nachblutungen verringere. Dr. Ingo Kleiter, Ärztlicher Leiter der Marianne-Strauss-Klinik in Berg, sprach über Fortschritte bei der Immuntherapie zur Behandlung von Multiple Sklerose. Er erklärte, dass die Langzeitprognosen von MS-Patienten durch diese Therapie erheblich verbessert worden seien und die Zahl der Patienten, die nach 15 Jahren eine Gehhilfe benötigten, von 50 % auf 10 bis 15 % gesunken sei. Neue Diagnoseverfahren könnten ebenfalls nützlich sein, insbesondere wenn klassische Methoden kein klares Ergebnis lieferten.
Management von Borderline-Erkrankungen
PD Dr. Michael Rentrop, Chefarzt im Zentrum für Psychose-Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen des kbo-Inn-Salzach-Klinikums und Experte im Bereich Borderline-Erkrankungen, erläuterte die Behandlungsmodalitäten dieser schweren Störung. Er hob die Notwendigkeit hervor, mit der Einführung der ICD-11 die Schweregrade von Störungen genauer zu unterscheiden. Halbstrukturierte Interviews könnten gut in den klinischen Alltag integriert werden, auch wenn sie nicht jedermanns Sache seien. Da in der Klinik oft Komorbiditäten vorlägen, seien reine Borderline-Störungen selten. Er wies darauf hin, dass es keine einzelne Substanz gebe, die alle Symptome abdecke, und empfahl, auf eine Dauermedikation zu verzichten und das rechtzeitige Absetzen von Medikamenten zu berücksichtigen.
Spannende Perspektiven auch im Bereich von Schizophrenie und Angsterkrankungen
Prof. Dr. Stefan Leucht, international bekannt durch zahlreiche hochkarätige Metaanalysen, sprach über die Vorteile von Depottherapien bei der Behandlung von Schizophrenie. Angesichts des Ärztemangels sei es sinnvoll, Depots frühzeitig einzusetzen, da sie gut in der Akutphase wirkten und möglicherweise weniger Nebenwirkungen hätten. Prof. Dr. Stephan Heres, Chefarzt der kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nord-Schwabing, ergänzte, dass ein schnell wirkendes Präparat zur Verfügung stehe, das in akuten Situationen früh eingesetzt werden könne, wenn Patienten gut auf orales Risperidon ansprechen. Prof. Leucht warnte jedoch, dass eine Erhöhung der Dosis keinen zusätzlichen Nutzen bringe, wenn die maximale Wirksamkeit erreicht sei.
Neues zu Therapieresistenz bei Angsterkrankungen referierte Frau Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke, deutschlandweite bekannte Wissenschaftlerin und Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Freiburg, unterstrich. Sie wies darauf hin, dass etwa 14 % der Menschen in der EU jährlich von Angsterkrankungen betroffen seien. Neben klassischen Therapieformen gewännen auch digitale Ansätze, wie virtuelle Expositionstherapien, an Bedeutung. Zudem gab sie Einblick in zahlreiche Neuentwicklungen im Bereich Pharmakotherapie.
Künstliche Intelligenz in der Psychiatrie: Potenziale und Grenzen
Ein weiteres Highlight der Tagung war die Diskussion über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Psychiatrie, die von Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer – bekannt durch zahlreiche Bestseller - angeführt wurde. Trotz der rasanten Fortschritte der KI in der Medizin sei ihr Einsatz in der Psychiatrie noch begrenzt, erklärte er. Patienten vertrauten nach wie vor menschlichen Ärzten am meisten, daher werde KI diese nicht ersetzen, könne aber als Unterstützung dienen. Spitzer wies auf die Fortschritte der KI in der Radiologie hin, während ihre Anwendung in der Psychiatrie noch in den Anfängen stecke. Prof. Dr. Michael Landgrebe, Chefarzt der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied, erklärte, dass KI sinnvoll sei, um als Unterstützung an der Seite des Arztes zu fungieren.
Innovative Therapieansätze bei Therapieresistenz
Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Göran Hajak äußerte sich zu innovativen Therapieansätzen bei Therapieresistenz. Er stellte fest, dass der Begriff „Therapieresistenz“ bei Patienten oft Ängste auslöse, da sie befürchteten, dass keine weiteren Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Er wies jedoch darauf hin, dass Kombinationstherapien vielversprechende Ergebnisse zeigten. Lichttherapie, Bewegungstherapie und Botox seien ernstzunehmende Optionen. Insbesondere moderne Stimulationstechniken wie die transkranielle Magnetstimulation (TMS) und die Vagusnervstimulation bezeichnete er als besonders wirksam. TMS habe sich als fünfmal effektiver als herkömmliche Methoden erwiesen. Auch die Elektrokrampftherapie (EKT) sei seiner Ansicht nach sehr wirksam und sicher, was durch zahlreiche Metaanalysen belegt sei.
Mit der Vorstellung des Krisendienstes Psychiatrie des Bezirks Oberbayern und den Beiträgen „Parkinson-Syndrome: Neue Therapieoptionen“ von Prof. Dr. Johannes Levin und „Radikulopathien: Diagnostische und therapeutische Herausforderungen“ von Dr. Tobias Jung ging schließlich nach zwei erfolgreichen Tagen eine Tagung zu Ende, die wertvolle Einblicke in aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in der Psychiatrie und der Neurologie bot und den interdisziplinären Austausch förderte.